Die Strehl Lüge

 

Wer kennt diese Werbung nicht? Da werden insbesondere bei Newtons Strehlwerte am Ende des neunzig Prozent Bereichs propagiert, selbst bei über 35% Obstruktion, dass selbst Apo Besitzer neidisch  werden. Insbesondere spielt Obstruktion auf einmal keine Rolle, da für das Gesamtsystem besser als beugungsbegrenzt (Strehl >= 0.8) garantiert wird. Und wenn man durch beide Systeme dann durchschaut, ergibts sich sehr oft das gleiche Trauerspiel: Bei Apos stecknadelfeine Sterne bis fast zum Rand und knackscharfe Hochvergrößerungen bei Mond und Planeten, bei vielen anderen Systemen deutlich schlechtere Abbildungen trotz angeblich gleichem Strehl und perfekter Justage. Das hier etwas nicht stimmt, das merkt man spätestens an dieser Stelle! Hier werden doch Kunden regelrecht verarscht, wie so oft von den Händlern. Aber was bewirkt Obstruktion? Die Lichtenergie wird mit steigender Obstruktion vom Beugungsscheibchen in die Beugungsringe verlagert, womit dieser abgebildete Punkt deutlich größer wird. Da jedoch ein Objekt meistens aus fast unendlich vielen Punkten besteht, müssen diese sich doch überlappen, wenn sie größer  werden. Das ist das gleiche, als wenn man diese Punkte verwischt, so dass die Folge matschige Bilder sind. Auch hier versucht man diesen Effekt zu verschleiern, indem  man der Meinung ist, bei Astrofotografie vergrößert man nicht, so dass die Obstruktion vernachlässigbar ist. Stimmt, solange man sich die Bilder auf einem Netbook mit 10 Zoll Display anschaut, mag das stimmen, aber wehe man läßt sich Poster von diesen obstruierten Bildern anfertigen, die aber Vergrößerungen darstellen, wenn auch nicht so extrem wie bei visueller Beobachtung. Was aber selbst bei Astrofotografie und kleinen Abbildungen sofort auffällt, ist der kleinere Kontrast bei obstruierten Systemen im Vergleich zu einem gleich großen unobstruierten System, was ein Verlust an Details bzw. schweres Erkennen von Feinheiten bedeutet! Okay, bei der Astrofotografie besteht die Möglichkeit, durch Bildverarbeitung Kontraste anzuheben und das Bild zu schärfen, wobei aber verloren gegangene Details nicht mehr zurückgeholt werden können! Bei der visuellen Anwendung können wir diese Verbesserungen vergessen, denn unsere Augen besitzen kein Photoshop… Aber in dem Satz mit der Verschiebung der Lichtenergie in die Beugungsringe steckt noch viel mehr Essenz! Bei einem obstruierten System ab 33% Obstruktion kann diese Gesamtoptik gar nicht mehr beugungsbegrenzt sein, da Strehl 0.79, Formel folgt gleich!!! Sehen wir uns hierzu ein Diagramm an, wie die Obstruktion einen Spiegel mit 1.0 Strehl (0.98 wäre realistischer, da absolut fehlerfreie 1.0 wahrscheinlich gar nicht möglich wäre) den EER (=Strehl mit berücksichtigter Obstruktion) quadratisch zusammenbrechen lässt, wobei die Obstruktion mit der vierten Potenz (!!) auch noch gleichzeitig brutal zuschlägt!



EER = (Strehl – Obstruktion²)² = Strehl² – 2*Strehl*Obstruktion² + Obstruktion⁴



Hier sieht man sehr schön, wie die Obstruktion (X-Achser) den Strehl (Y- Achse) quadratisch einbrechen läßt, und daß bei 33% Strehl die Beugungsbegrenztheit verlassen wird. Da aber selbst die weltbesten Spiegel nur maximal 0.97 – 0.98 Strehl haben werden, laut obiger Formel der Strehl auch noch quadratisch zusammenbricht, wird in Wirklichkeit die Beugungsbegrenztheit schon bei knappen 30% Obstruktion verlassen. Daher ist es ratsam, die Obstruktion bei Newtons auf maximal 25% zu begrenzen, dann ist man auf der sicheren beugungsbegrenzten Seite. Auch interessant der Bezug dieser Kurve auf Ritchey Cretiens, die typisch 50% Obstruktion haben, was aber dann einen EER von sehr bescheidenen 0.5 ergibt, setze ich den Spiegel mal mit sehr guten 0.96 Strehl an!

Um ganz korrekt zu sein, spricht man bei obstruierten Systemen nicht mehr vom Strehl, sondern gemäß Suiter vom EER, da beim EER die Kontrastübertragung im Mittelpunkt steht. Zwar geht es im Endeffekt auch nur um die Qualität/Bilddefinition der Abbildung, für mich nur Wortspielerei. Somit hat mein 8“ Newton ohne Namen mit 35% Obstruktion und einem Spiegelstrehl von 92% aber dank Obstruktion nur einen EER von 0,64. Der Benutzer sieht aber nicht die theoretischen 92% sondern die knappen 64%!  Wir Amateurastronomen betrachten auch ausschließlich das sichtbare Bild mit seinen evtl. Schwächen, wobei uns nicht interessiert, was der Spiegel alleine betrachtet zeigen könnte, das wäre völlig realitätsfern!

 

Was bedeutet aber nun dieser niedrige EER, der nichts anderes ist als Strehl mit berücksichtigter Obstruktion? Ein niedriger EER lässt eine punktförmige Abbildung (Stern) erheblich anwachsen, da Energie vom Beugungsscheibchen in die Beugungsringe verlagert wird. Da aber ein Objekt aus einer Vielzahl von Punkten besteht, überlappen diese sich, was Unschärfe bedeutet. Nun könnte man die vergrößerte Punktabbildung etwas reduzieren durch Auswahl einer größeren Öffnung, denn je größer eine Öffnung, desto geringer die Beugung des Lichts und somit ist das Beugungsscheibchen inklusive Beugungsringe auch kleiner. Allerdings bekommen wir einen Effekt eines Gerätes mit niedrigem EER nicht weg: Die unruhige Abbildung. Solche Instrumente kämpfen bei Luftunruhe, die man quasi immer hat, erheblich mit einer ruhigen Abbildung, da das Licht immer wieder zwischen Beugungsscheibchen und Beugungsringe hin und hergeworfen wird. Und je größer dieser Weg ist, desto mehr merkt man diese Wanderung in Form eines zappelnden Objektes und ähnlichen Effekten!

Noch ein Wort zur Obstruktion. Hat ein Newton 150 mm Öffnung und einen 50 mm Fangspiegel, so hat er den Kontrastumfang und die Abbildung eines 100 mm Apos. Will man aber den Kontrastumfang und und Abbildung eines 150 mm Apos haben, nimmt man eine obstruierte Optik mit 2-3 Zoll mehr, die dann das gleiche leistet aber meistens viel billiger ist als ein Apo. Durch das Mehr an Öffnung wird das Beugungsscheibchen auch kleiner und man befindet sich in etwa wieder auf Apoebene mit theoretischen Vorteilen in der Auflösung. Aber der reduzierte EER schlägt bei Spiegeloptiken dennoch bei der Luftunruhe gnadenlos durch wie schon eben beschrieben! Mag sein, dass dieser Vergleich nicht fair ist, da ungleiche Öffnungen. Ich persönlich sehe zu, dass ich nicht mehr als 20% (visuell)-25% (fotografisch) Obstruktion habe bei meinen Spiegeloptiken, damit liege ich in einem guten Bereich.

Zu diesem Thema gabs eine Lachnummer am 10.5.2016 in einem Forum von einem sehr bekannten Händler, der im Irrglauben lebt, Obstruktion bedeutet nur Beugung, weshalb das Bild nur anders aussieht. Daß die Beugung nicht nur Kontrast kostet, sondern auch Details verschmiert, da sich das Beugungsscheibchen aufbläht, scheint der Mann nicht zu wissen. So viel zum Fachwissen unserer Händler, ein weiteres Beispiel auch zur Abschreckung folgt gleich….



Aber nun weiter zu noch viel größeren Verarschungen. Der Strehlwert hängt leider auch sehr von der Wellenlänge  (Farbe ) ab. Dieser wird oft im grünen Bereich getestet und dort auch optimiert. Diese Farbe reicht scheinbar aus, da unsere Augen im Grünbereich am empfindlichsten sind. Allerdings sinkt der  Strehlwert erheblich bei anderen Wellenlängen, kann ohne weiteres bei Refraktoren von 0.95 bei Grün auf unter 0.8 bei violett fallen, sprich unter beugungsbegrenzt. Orion UK mißt gerne bei Spiegeln im tiefroten Bereich geschönte Werte bei 632 nm. Auf grün umgerechnet sieht es dann nicht mehr ganz so toll aus! Bei Refraktoren ist dieser Abfall extrem, weshalb sehr oft schnellere Apos (f<9) bei einer Farbe nicht mehr beugungsbegrenzt sind!

Aber es wird noch viel viel schlimmer! Der Strehlwert bezieht sich immer auf die optische Achse, sprich einen winzigen Punkt dort!!! Aber leider lassen sich die Objekte auf diese winzige Fläche nicht konzentrieren, sondern nehmen einige zehntel bis wenige Grad an! Selbst wenn man sich die imposanten Sternfelder anschaut, winzige  Punkte bis zum Rand eines Okulars, sprengen wir bei Weitem die optische Achse. Wie sieht es nun mit den tatsächlichen Strehlwerten außerhalb dieses Bereichs aus? Hier werde ich nun paar Ergebnisse eines sehr geschätzten Lehrbuchs der Optik präsentieren: "Telescopes Eypieces Astrographs, Design, Analysis, snd Performance of  Modern Astronomical Optics" von Gregory Hallock Smith, Roger Ceragioli und Richard Berry, für mich persönlich eine Optikbibel. Schauen wir uns doch mal die daraus entnommenen Werte genüsslich an, bei denen die Obstruktion ignoriert wurde:

       















Erklärung: SCT = Schmidt Cassegrain Teleskop, * = alle Spiegel sphärisch, ** = Ritchey Cretien mit Feld Korrektor

 Interessant sind die Newtons in der Tabelle. Die schlechten bis mäßigen Werte haben nichts mit der Obstruktion zu tun, denn die obstruktionsfreien Schiefspiegler liegen in  ähnlichen Bereichen. Auch interessant, wie katastrophal die schnellen Spiegel abschneiden, womit die langsamen f/8 Systeme ihre absolute Existenzberechtigung haben.  Bedenke ich, dass die Hürde die Händler bestenfalls bei beugungsbegrenzt angesetzt ist, sprich bei Strehl  >= 0.8, erscheinen viele Systeme besonders katastrophal.  Ein bekannter Händler haute sogar mal das Fass auf, man sehe keinen Unterschied zwischen Strehl 0.5 und 0.96. Dank guter Erziehung habe ich ihm nicht den Laden vollgekotzt! Entschuldigen Sie diese Ausdrucksweise, sehr geehrte Leser, aber wenn ein Händler in so einem Irrglauben lebt, sprich der Strehl spielt keine Rolle, dann wird doch der Händler regelrecht motiviert, Niedrigstrehlramsch zu verkaufen! Solche Aussagen haben mich seit langem dazu getrieben, kein Astroequipment in Deutschland mehr zu kaufen. Solche Händleraussagen bekräftigen lediglich die Pisastudie, nach der die Deutschen schon hinter den Ostasiaten liegen, mal etwas überspitzt formuliert.



Aber zurück zum Thema Niedrigstrehl, bzw. niedriger EER. Ich kenne doch das Drama, wenn eine Optik schlechte Strehlwerte hat, und bei mäßigem Seeing an Planeten nichts zeigen kann außer wabbernde Kugeln ohne Details, noch nicht einmal bei labriger 50 facher Vergrößerung, wo ein anderes Gerät bei gleicher Vergrößerung und gleicher Öffnung deutlich bessere Ergebnisse zeigt. Gerade bei den beiden angesprochenen Strehlwerten wird ein punktförmiges Objekt viermal verschmierter bei der schlechteren Optik erscheinen gegenüber der viel besseren, weil ein hoher Strehlwert das Licht besser im Beugungssscheibchen konzentriert. Kann man in dem legendären Artikel "Optikmythen" auf der Seite von Wolfgang Rohr nachlesen!!! 

Fairerweise muss ich ergänzen, dass ein Komakorrektor den Strehl im Feld wesentlich verbessert, ihn fast konstant hält. Er korrigiert nämlich das Koma und die Bildfeldkrümmung. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Strehlangaben zu einem Spiegel (ohne Korrektor) irreführend sind!

Aber wieder zurück zur Tabelle. Wie man sieht, sind hier die apochromatischen Refraktoren allen anderen Systemen haushoch beim Strehlwert überlegen! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, sehr geehrte Leser, ich will hier die Mitkonkurrenten der Apos nicht verteufeln. Sie haben alle ihre volle Existenzberechtigung, denn in Sachen Kosten bei größeren Instrumenten (> 5 Zoll) und Portabilität versagen die Apos völlig, und da trumpfen wieder die Spiegelsysteme auf, wenn auch unter erheblichen Opfern. Auch wenn ich absoluter Apofan bin, so hatte ich Stand 2012 zu Hause neben einigen Apos auch etwa 10 Newtons, 3 Maks und einen Ritchey Cretien, die ich alle gerne mal einsetze, auch wenn ich immer wieder mal beim Apo lande, bis mich der Öffnungswahn wieder zum Newton zurückholt.